Projektseminar: Geschichte der Filmkameratechnik, SS 2016

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Kameras für Profis und Amateure

Die Unterscheidung zwischen Amateurfilm und professionellem Film hat sich erst im Lauf der Entwicklung des Mediums herausgebildet und verfestigt. Aus dem Rückblick kann sogar gesagt werden, daß die ersten öffentlich vorgeführten Filme der Brüder Lu-mière zum großen Teil Amateurfilme waren: Szenen aus der Familie und dem alltäglichen privaten oder beruflichen Umfeld.

Diese Darstellung berücksichtigt in erster Linie den Amateurfilm, da im professionellen Bereich das 35mm-Format durchgängig unverändert geblieben ist - abgesehen von den verschiedenen Versuchen für die Breitwand (70mm-Film, die verschiedenen Cinemascope-Verfahren). Und es gab immer wieder "Migrationen": So war das 16mm-Format zunäscht als reines Amateurformat gedacht, bis es in den 1930er Jahren zur bevorzugten Ausrüstung von Dokumentarfimern und Wochenschau-Reportern, und später des Fernsehens wurde.

1) Die Pioniere 1895-1920

Bei den filmischen Aktivitäten der Pioniere stand die Entwicklung der Aufnahmetechnik im Vordergrund, oft haben sie das Drehen von Filmen als lästige Begleiterscheinung empfunden, die nur nötig war, um die Apparate vorzuführen (Edison). Erst allmählich stellten sich zwei Erkenntnisse heraus: erstens, daß der Film ein Geschäft sein kann und zweitens, daß er ein Mittel zur Reproduk-tion der Realität und zur künstlerischen Interpretation derselben ist.

Kommerzielles Kalkül und künstlerischer Anspruch entwickelten sich erst allmählich in den 1910er und 1920er Jahren. Und nur in diesem Zusammenhang konnte die Vorstellung eines "Amateurfilms" als Alternative dazu entstehen. Eine weitere Voraussetzung dafür war die Vereinfachung, und das heißt in erster Linie Verkleinerung der Filmapparate, was vor allem durch die Verkleinerung des Bildformats erreicht werden konnte.

Trotzdem kann man vermuten, daß viele der zwischen 1900 und 1920 konstruierten 35 mm Kameras auch von "Amateuren" benutzt worden sind, was u.a. durch entsprechende Reklameanzeigen belegt ist. Es gibt darunter sehr kleine und handliche Modelle, wie etwa die Empire von BUTCHER in London (ca. 1912), die Ensign von HAUGHTONS in London (1914, sie soll nur etwa 10 Pfund gekostet haben), oder die Scythes de Firma GASSINO in Turin (1918).

"La Sept" von Debrie

Die berühmte Debrie Sept (1923) ist ein Grenzfall: Konzipiert als Kombination von Photoapparat und Filmkamera, kann sie auf dem kurzen Filmstück von 7 m zwar 250 Photos, also nur ein paar Sekunden bewegte Bilder aufnehmen. Dies macht sie unpraktisch für den Amateur, und so wurde die Sept vor allem für kurze Zwischenschnitte oder Stunt-Aufnahmen benutzt. Der Regisseur Abel Gance ließ sie laufend durch die Luft werfen, um so den Flug einer Kanonenkugel aus "subjektiver Perspektive" zu filmen.

Birtac, von DARLING & WRENCH (1898)

Der erste Versuch, das Filmformat zu reduzieren, erfolgte durch das einfache Zerteilen des 35mm Films in 17,5 mm breite Streifen. Bereits 1898 wurde in England die Birtac-Kamera herausgebracht. Sie konnte auch als Projektor fungieren, was als ein Merkmal des frühen Amateurfilms gilt. Weitere Modelle waren die Biokam von der Firma DARLING & WRENCH oder die Kino von ERNEMANN in Dresden.

2) 1920-1930: Die Amateurformate 9,5 und 16 mm

In der Filmwissenschaft wird der Beginn des Amateurfilms mit der Einführung kleinerer Bildformate gleichgesetzt, was etwas ungenau ist. Denn diese Einführung hatte zunächst auch noch einen anderen kommerziellen Zweck: den Verkauf von verkleinerten Kopien von kommerziellen Filmen. Dabei handelte es sich vor allem um Kurzfilme, Slapstick und Zeichentrickfilme für Kinder. "Amateur-" oder "Heimkino" bedeutete also lange Zeit nur, daß mit entsprechend kleinen und handlichen Projektoren Kauffilme vorgeführt wurden. Dies änderte sich grundlegend erst, als die Firma EASTMAN KODAK im Jahre 1923 den 16 mm Film auf den Markt brachte, und zwar als Umkehrfilm, bei dem nicht erst eine Kopie angefertigt werden mußte.

Der "Kino"-Apparat von Ernemann (Dresden)

Wie später bei der Super 8 Kassette, verdrängte damit Kodak auf einen Schlag alle anderen Systeme und Formate auf dem Markt (außer dem 35 mm Film) und brachte auch die ersten handkurbelbetriebenen "Amateurkameras" in diesem Format auf den Markt (Cine Kodak Model A), die im Set mit Stativ, Klebegerät, Projektor und Leinwand verkauft wurden. Erst die Konkurrenz (BELL & HOWELL) bot dann Kameras mit Federwerkmotor an, mit denen man auch "aus der Hand" filmen konnte. 1929 gab es schon 13 Firmen, die 16 mm Kameras für Amateure anboten, darunter die ersten Nizo Kameras der deutschen Firma NIEZOLDI & KRÄMER ab 1927.

Die erste "Nizo" von Niezolde & Krämer, München (1929)

Aber schon seit 1922 gab es ein noch kleineres Format: den von der französischen Firma PATHÉ entwickelten 9,5 mm Film mit einer Perforation in der Mitte. Auch hier wurden zunächst Projektoren für Kauffilme gebaut ("PATHÉ Baby"), 1923 folgte die erste "Baby"-Kamera, noch mit Handkurbelbetrieb. PATHÉ bot sogar "Kits" zum Selbstentwickeln des Films an. Viele Firmen boten jetzt Kameras in dem neuen Format an und der Amateurmarkt expandierte. Einige bewährte Modelle waren sogar in beiden schmalen Formaten erhältlich, aber der 9,5 mm Film bot, weil die ganze Breite des Bandes genutzt wurde, eine Bildgröße an, die fast der des 16 mm Films entsprach.
Pathé "Baby", zunächst mit Handkurbel (1924), hier schon mit Federwerk (1928)"


Damit wurde der 9,5 mm Film zur ernsthaften Konkurrenz für den 16 mm Film, der in Reaktion darauf langsam zur preiswerten Alternative für die professionelle Produktion wurde (bessere Kameras mit reichlichem Zubehör, lichtempfindlichere Filme) und vor allem im Bereich des Dokumentarfilms ab den 1930er Jahren fast ausschließlich zum Einsatz kam. Später war im Fernsehen 16 mm bis in die 80er Jahre hinein das Standard-Filmformat für die aktuelle Berichterstattung und sogar für die Produktion von Fernseh-spielen. Eröffnet wurde diese Entwicklung mit der 1933 zum ersten Mal vorgestellten Kamera Cine Kodak Special, einer Systemka-mera (viele Wechselobjektive, schnell wechselbare Filmkassetten verschiedener Größe) für, wie es in der Werbung hieß, den "seriö-sen Filmemacher". Sie war bis 1961 auf dem Markt.

Erst als es seit Beginn der 1930er Jahre feinkörnigeres und lichtempfindlicheres Filmmaterial gab, konnte an eine weitere Reduzierung des Bildformats für Amateure gedacht werden. Auch hier war Kodak der Vorreiter und kündigte 1932 das 8 mm Format an. Es dauerte aber noch ein paar Jahre, bis diese Konfektionierung wirklich auf den Markt kam. Um die 16 mm Entwicklungs- und Kopiermaschinen weiterhin benutzen zu können, wird ein 16 mm breiter Film benutzt, der zweimal durch die Kamera läuft, wobei jeweils die Hälfte der Breite des Filmbandes belichtet wird. Erst nach der Entwicklung wird der Film in der Mitte geteilt. Dabei entsteht ein einseitig perforierter 8 mm Film ("Doppel 8"). Die Spulen für dieses Format enthalten jeweils 7,5 m, was dann 15 m fertigen Film ergibt.

3) 1935-1965: Die Zeit des 8 mm Films

Mit dem 8 mm Filmformat konnte der Amateurmarkt wirklich expandieren, da die Preise für Apparate und Filmmaterial gegenüber 16 mm etwa um 60-80 % niedriger lagen. Zu Beginn der 1950er Jahre gab es weltweit etwa 25 Anbieter von 8 mm Ausrüstungen. Obwohl für Amateure bestimmt, wurden die Kameras noch nach den Gesichtspunkten der professionellen Technik gebaut, waren oft hervorragend ausgestattet (verschiedene Laufgeschwindigkeiten, Reflexsucher, variable Sektorenblende, Rückwicklung für Auf-, Ab- und Überblendungen etc.). Es gab auch Single 8 Kameras, für die der Film schon vor der Aufnahme gesplittet wurde, was es ermöglichte, besonders kleine und handliche Kameras zu bauen (die manchmal nicht einmal 10 Dollar kosteten), wie etwa die berühmte Univex. Sie waren aber nur eine Randerscheinung und verschwanden mit der Einführung des Kodachrome Farbfilms 1936.

Emel "Cine 8", auch "Plume" genannt (1935)


Die Schweizer Firma PAILLARD BOLEX führte die "H"-Serie ein, Kameras, die in identischer Ausführung für 16 (ab 1935), 9,5 (ab 1936) und für 8 mm (ab 1938) angeboten wurden. Andere Firmen folgten mit semiprofessionellen Kameras für 16 und 8 mm (BEAULIEU, PATHE WEBO; im Ostblock KRASNOGORSK, KIEW und PENTACON). Aber die Bolex ist das wohl langlebigste "amphibi-sche" Modell, wurde über Jahrzehnte immer weiter verbessert und bediente den professionellen und den Amateurmarkt gleichermaßen. Erst später kamen dann die berühmten kleinen 8 mm "Taschenkameras" von BAUER, BOLEX und anderen Firmen hinzu, die trotz ihrer Handlichkeit technisch hervorragend ausgerüstet waren.
Paillard Bolex H 8 (1938)

Der Übergang zum Farbfilm erfolgte allmählich in den 1930er Jahren und zwar fast gleichzeitig im Amateur- und im Profibereich. Die ersten Kino-Farbfilme gab es schon Mitte der 1930er Jahre, wirklich eingeführt wurde der Farbfilm von der Filmindustrie erst 1938/39. Die Amateure konnten in dieser Zeit auch schon in Farbe filmen, aber das Material war noch schwierig herzustellen und zu bearbeiten. Für den Amateurmarkt brauchte man ein praktisches und nicht zu teures Farbverfahren, das nach vielen aufwendigen Versuchen erst mit dem Erscheinen des Kodachrome-Umkehrfilms seit 1935 verfügbar war. Plötzlich konnte man mit jeder handelsüblichen Kamera auch in Farbe filmen. Trotzdem war der Farbfilm für Amateure noch bis in die 1940er Jahre hinein ein "Luxus", und schwarz/weiß immer noch viel billiger (heute ist das umgekehrt).

4) 1965-heute: Der Siegeszug von Super 8

So war die Einführung des Farbfilms eine weit weniger einschneidende Neuerung als die Einführung des Super 8 Formats im Jahre 1965. Auch hier war Kodak der Initiator, das neue Format erlaubte durch eine Verkleinerung der Perforationslöcher eine Vergröße-rung des Einzelbildes um etwa 50%, unter Beibehaltung der Breite des Filmbandes.

Braun Nizo 4080, eine Kamera mit Direkttonaufnahme (1981)


Aber Kodak führte mit dem neuen Format auch eine weitere Neuerung ein: Anstatt auf einer Spule wurde der Film jetzt in einer Plastik-Kassette geliefert, womit das umständliche Einfädeln des Films vermieden werden sollte. Gleichzeitig brachte die Kassette aber auch einen Nachteil, der die gewonnene Bildqualität oft wieder zunichte machte: Da es keinen präzisen, normalerweise in po-liertem Stahl gefertigten Filmkanal mehr gibt, sondern die Plastikabdeckung der Kassette als solcher dient, kann das Film-Auflagemaß um Bruchteile von Millimetern abweichen, was beim kleinen Bild sofort zu Schärfeverlusten führt. Die Amateure fanden sich damit ab, und innerhalb kurzer Zeit war die Kassette von Kodak auf dem Markt praktisch konkurrenzlos. Nur die Firma Fuji konnte sich mit "Single 8" in einer kleinen Nische behaupten (und zwar bis heute). Fuji liefert sowohl die Kameras, als auch das Filmmaterial. Selbst die sowjetische Firma ZENIT (Kameras Quarz), die zunächst im durch Kodak-Patente nicht beeinträchtigten Ostblock-Markt vernünftigerweise eine "Doppel Super 8" (DS8) Kamera anbot (mit 7,5 m speziell perforierten Films auf Spulen, der nach der Entwicklung in der Mitte geteilt wird), mußte sich bald anpassen und baute Kameras für die Kodak-Kassette. (Vgl. "Filmformate" unter "Technik"
Beaulieu 5008, eine der letzten und besten Super 8-Kameras

Nur Profis und anspruchsvolle Amateure benutzen das DS8 System weiter, meist mit umgebauten oder speziell gefertigten Kameras (für 30 m Spulen, was dann 60 m Super 8 Film ergibt). Nur mit diesen Geräten kann man wirklich die Qualitäten des Super 8 Films (Auflösung, Schärfe) zur Geltung bringen. Aber Kodak, der einzige Lieferant von DS8 Film, hat die Produktion jetzt eingestellt. Für die Super 8 Kassette wurden bis in die 1980er Jahre hinein immer mehr und vor allem immer bessere Kameras gebaut. Die letzten Modelle bieten sogar die Möglichkeit, auf vorbespurtem Material Direktton aufzunehmen oder externe Tongeräte zu synchronisieren. Technisch sind sie mit allen Schikanen (bis hin zu prozessorgesteuerten Programmabläufen) ausgestattet. Auch die Projektoren erlauben (mit Breitwand, Stereoton und Xenon-Lampen) Vorführungen in kinoähnlicher Form.

Wie sieht es heute aus? Keine Frage, dass Video den Amateurfilmmarkt vollständig beherrscht. Vor allem die Einführung der Mini-DV Kassette ermöglichte eine Qualität, die, mindestens auf dem kleinen Fernseh-Bildschirm, nicht mehr von der des Super 8 Films zu unterscheiden ist. Erst bei der Projektion auf große Leinwand wird der Unterschied deutlich, und es bestätigt sich, was physikalische Messungen erweisen: daß nämlich die Auflösung des Super 8 Films von normalen Amateur-Videokameras (geschweige denn von I-Phones oder Tablet) bei weitem nicht erreicht wird, oder umgekehrt gesagt: Eine Bildauflösung, wie sie der Super 8 Film hat, ist nur mit Videokameras der höchsten Profiklasse möglich, deren Preise vierstellig sind. Aber die "Amateure" haben sich längst an die immer billigeren vollautomatischen Digitalkameras, die Möglichkeit, das Gedrehte sofort zu sehen und an den kleinen Bildschirm gewöhnt.

FUJI Z 800 Single 8 von 1971

Trotzdem gibt es erstaunlicherweise eine Art Renaissance von Super 8. Sogar KODAK denkt daran, eine neue Super 8-Kamera auf den Markt zu bringen - das ist aber vorerst nur eine vage Ankündigung. In den USA ist die Super 8-Technik bei Werbe- und Musik-Clip-Filmern beliebt, weil ihre Einzelbild- und Trickmöglichkeiten viel präziser sind, und weil sie für bestimmte ästhetische Vorstellungen im Off- oder New-Hollywood-Umkreis billigere Produktionsmöglichkeiten bietet. Aber die Super 8 Fangemeinde, die jetzt für billiges Geld die einstigen Spitzenprodukte erwerben kann, ist leider abhängig vom den verbleibenden Anbietern an Filmmaterial. Es wirkte wie ein Schock, als KODAK den Kodachrome 40-Film 2006 vom Markt nahm. Die Angebotspolitik dieser Firma ist natürlich vom kommerziellen Kalkül bestimmt. Um so mehr überraschte es, daß KODAK Anfang 2010 verkündete, als Ersatz das hervorragende Profi-Material Ektachrome 100 in der Super 8-Konfektion neu anzubieten. Es war eine kurze Erleichterung: Er ist schon wieder vom Markt, es waren nur noch Restbestände aus der Tiefkühltruhe.

Günter Giesenfeld