New Old Hollywood

Clint Eastwood legt derzeit sein Alterswerk vor und wird nicht nur als Ikone mit einer langen Vergangenheit, sondern auch als neuer Star gefeiert. Zum Mainstream der gegenwärtigen kommerziellen Hollywood-Produktion von Action-Filmen für Halbwüchsige (neuerdings wieder einmal in 3D), angesichts derer, wie Georg Seeßlen bemerkt, der Filmkritiker an seinem Beruf verzweifeln müßte, erscheinen die Alten (so auch Woody Allen mit Vicky Christina Barcelona und Coppola mit Jugend ohne Jugend) als sowohl vitale als auch intelligente Gegenströmung. Sie überzeugen nicht nur durch ihre technische, narrative und inszenatorische Professionalität, sie scheinen auch neue, bittere Antworten auf die Frage liefern zu wollen, wo das Hollywood-Kino heute steht und was es noch zu sagen hat.

Eastwoods letzte Filme (Million Dollar Baby 2004, Letters from two Jima 2006, Changeling - Der fremde Sohn 2008) stellen Helden vor, die tragisch enden. Sie scheinen überdies manche Konventionen, von denen der Hollywood-Erzählstil lebt, zu negieren. Der alte Korea-Veteran und ehemalige Ford-Arbeiter Walt Kowalski in Eastwoods neuestem Film Gran Torino will eigentlich nur seine Ruhe im Ruhestand haben, wird aber in die Auseinandersetzungen seiner Nachbarschaft aus asiatische Einwanderern hineingezogen. Zu Beginn des Films begegnet er ihnen mit einem verbalen, eher comedyhaften Rassismus, bis ein paar von ihnen versuchen, seinen alten Ford "Gran Torino" zu klauen, den er in seiner Garage stehen hat, ständig putzt und nie fährt. Ohne es zu wollen, wird er in die Rolle des Polizisten gedrängt, der wie ein Western-Star mit Flinte und Arroganz den guten Asiaten gegen eine Gang schlechter Asiaten hilft.

Das Ende erinnert an das Motiv der persönlichen Justiz in den Rambo-Filmen: Weil die Polizei nicht so richtig gegen die Verbrecher vorgehen will, provoziert er einen absurden showdown: Vor ihren Häusern tritt er ihnen auf offener Straße entgegen, geht solange auf sie zu, bis sie aus allen Fenstern ballern. Jetzt kann und muß die Polizei sie verhaften. Happy End durch die Aufopferung des Helden.

Jede nach den Hollywood-Regeln konzipierte Handlung (Plot) ist immer auch ein Argument, meist ein politisches. Man kann dieses hier allgemein formulieren und dabei auf allegorische Konnotationen (die sterbende Autoindustrie, die sterbende Moral in der Gesellschaft, die sterbenden Hollywood-Genres wie Western und Gangsterfilm) verweisen. Man kann aber auch exakte historische Bezüge finden. Die Asiaten, mit denen es Kowalski zu tun hat, gehören der vietnamesisch-laotischen ethnischen Minderheit der Hmong an. Diese hatten im amerikanischen Vietnamkrieg eine besondere Rolle gespielt. Als eine von der CIA unterhaltene Söldnertruppe, genannt "Meo-Greeen Berets" kämpften sie auf seiten der US-Army gegen die Befreiungsbewegung des Pathet Lao. Der Film kann also auch als Allegorie gelesen werden und wäre dann eine ziemlich platte Geschichtslektion im Sinne der Rechtfertigungsideologie moderner neokolonialistischer Kriege, in denen ja den guten gegen die bösen (kommunistischen, fundamentalistischen) Eingeborenen geholfen werden muß und letztere deshalb stets als eindeutige Verbrecher aufzutreten haben.

Das Ende liegt in der Tradition sowohl Rambos, als auch des wohl berühmtesten Films mit Clint Eastwood als Schauspieler: In Dirty Harry (1971) spielt er den Cop, der stets skrupellos, aber auch konsequenter als die Polizei die Verbrecher jagt und dabei alle Regeln (Menschenrechte, juristische Vorschriften) mißachtet. Als er schließlich den Gegenspieler gestellt und erschossen hat, wirft er seinen Sheriff-Stern weg. Die Resignation, das Desertieren aus der gesetzlichen Bindung an den Staat oder an die Demokratie ist also ein (ur)altes Hollywood-Motiv und die Selbstaufopferungsszene in Gran Torino ist überdies eine klassische Kinometapher des Vietnamkriegs-Genres (Rambo First Blood 1985).

Jonathan Demme ist ebenfalls ein altbekannter Hollywood-Regisseur, wenngleich seine Filme eine viel größere Diversität aufweisen als die von Eastwood. Sein moderner "Klassiker" Das Schweigen der Lämmer, mit 5 Oskars prämiert, gilt als Abgesang auf die Mythen der Hollywood-Genres. Sein neuester Film Rachels Hochzeit scheint ebenfalls mit vielen Konventionen zu brechen. In einem fast dokumentarischen Stil mit Handkamera gedreht, erzählt er den Ablauf einer Hochzeitsfeier. Eigentlicher Mittelpunkt der Handlung ist aber nicht die Braut, sondern deren Schwester Kym: Sie ist in einer Suchtklinik, wir hören vage Andeutungen von einem kriminellen Hintergrund: Drogen, ein Unfall, ein totes Kind. Für das Familienfest hat sie Urlaub erhalten, unter den Feiernden spielt sie die Rolle des schwarzen Schafs der Familie, der unangepaßten Kritikerin oberflächlicher Konventionen und lächerlicher Gefühlsriten. Nach einem Ausbruchsversuch, bei dem sie einen Mercedes vor einen Baum fährt, kehrt sie am Abend zum Fest zurück und ist fortan die liebe, jubelbereite Schwester, bis sie am Morgen von der Justizbeamtin wieder abgeholt wird.

Im Gesicht einer Familie, einer Gesellschaft bricht eine Wunde auf und scheint wieder zu vernarben. Schon in Melvin und Howard (1980) hatte Demme den amerikanischen Traum von Reichtum und Erfolg platzen lassen, aber mittels eines handfesten und spannenden Plots (armer Schlucker wird Erbe des Millionärs Howard Hughes, am Ende wird es ihm aber von den Gerichten wieder genommen). Hier ist es ein anderer amerikanischer Traum, der zu zerplatzen droht: die Vorstellung vom melting pot, vom friedlichen und bunten Zusammenleben verschiedener Kulturen und Rassen: Die Braut heiratet einen Schwarzen, die Feier ist eine Abfolge von Folklore-Nummern verschiedenster Herkunft.

Die Revolte Kyms erstickt in klischeehafter, bis zur Lächerlichkeit hochgeputschter Fröhlichkeit, die aber, so ist zu vermuten, von den meisten Zuschauern ganz ernst genommen werden dürfte. Zu diesem Rezeptionsangebot trägt der Kamerastil bei: Er verhindert es, daß wir dem Geschehen zuschauen (und Distanz gewinnen können), sondern zwingt uns hinein, als Teilnehmer, als Mitfühler. Die Kamera reagiert direkt auf die Stimmungen, liefert sich und unseren Blick der tollen Fröhlichkeit aus und erstickt damit jede Möglichkeit, hinter diesem Dienst am Gott der Familie noch irgendeinen Standpunkt zu finden, der unser Deutungsvermögen anregen könnte.

Eben weil es mit den spektakulären Strichen der überdrehten Reportage gezeichnet wird, stellt dieses Bild den tendenziell satirisch gestalteten Mythos doch ernstlich nicht in Frage und könnte zu dem journalistischen Kurzschluß verleiten, der Film sei die erste Manifestation eines neuen Amerika unter Obama, wonach Gran Torino dann der letzte Bush-Film wäre.

Eigentlich aber scheint das alternde Hollywood, mit bewährter Professionalität (die weiß Gott schon an sich eine Qualität ist) und unter Anwendung ästhetisch anspruchvoller narrativer Extravaganzen seine alten Themen wiederzukäuen, und das vielleicht Tröstliche daran ist, daß es dabei auch seine selbstreflexiven und selbstkritischen Traditionen weiterführt. Aber die Revolution findet nicht statt. Die Hollywoodsche Gesellschaftsutopie vom Gleichklang der Seelen vor und hinter der Leinwand ist ungebrochen, und auch die seine Fragilität indizierenden Glanzpunkte von Tragik und Groteske gehörten schon immer dazu.

Günter Giesenfeld