Jedem sein Hitler

Wie schon Roberto Benignis Das Leben ist schön (vgl. Medienkritik 1/1999) wirft Dani Levys Film Mein Führer reflexhaft die Frage auf, ob man über Hitler lachen könne, dürfe. Vor allem wenn man sie absolut stellt, ist diese Frage eher nicht relevant, denn schon vor und während seiner Herrschaft wurde über ihn gelacht. Vielmehr scheinen bestimmte Formen der Komik in Hitler-Geschichten eher fatale Folgen zu haben. Er hätte, so hat Charlie Chaplin einmal gesagt, The Great Dictator nicht gemacht, wenn er damals (1939) schon die Wahrheit über die KZs gewußt hätte. Aber auch ohne diese Kenntnis hatte der große Komiker gespürt, daß der Slapstick, der seine eigene Kunstfigur konstituierte, sich für das Thema Holocaust nicht eignete. Sein Film bewahrt künstlerische Integrität dadurch, daß am Ende der Mensch Charlie Chaplin sowohl aus seiner Doppelrolle, als auch aus seiner Funktion als Regisseur heraustritt und sich direkt an das Publikum wendet mit einem moralischen, antifaschistischen Aufruf.

Dany Levy zitiert diese Szene. Der jüdische Schauspieler Adolf Grünbaum soll dem alternden und kränkelnden Führer dabei helfen, seine frühere rhetorische Faszinationsfähigkeit in einer großen Rede, mit der die letzten Kräfte für den verlorenen Krieg mobilisiert werden sollen, wenigstens noch einmal zu spielen. Als jedoch die Stimme des Diktators völlig versagt, muß der Mentor unter der Tribüne ins Mikrophon sprechen, während Hitler oben Mundbewegungen und Gesten dazu macht. Aber der Jude hält sich nicht an den vorgesehenen Text und wendet sich in eigener Sache an die versammelten Volksmassen. Seine Botschaft: Das in seiner Jugend von einem tyrannischen Vater unterdrückte ewige Kind Hitler ist am Ende und die Sache des tausendjährigen Reichs verloren. Eine vielleicht intendierte komödiantische Untergründigkeit, die, wie manche Kritiker zu beobachten meinten, auch diese These satirisch relativiere, kann man Levy leider nicht unterstellen. Denn es ist ihm Ernst mit der psychologischen Sicht.

Der moralische Appell Chaplins (verbunden mit dem bewußten Eingeständnis, daß seine komische Kunst hier versagen muß) verkommt zur platten Propagierung einer der gängigsten Verharmlosungstheorien des faschistischen Terrors, die für die individualpsychologische Deutung der Hitlerfigur vielleicht eine gewisse Glaubwürdigkeit beanspruchen mag, aber weder als Resümee einer künstlerischen Auseinandersetzung, noch als geistige Perspektive für eine Satire taugt, die eigentlich ihre Figur durch Absurdisierung vernichten müßte. Wenn Hitler als ein armes Würstchen und impotenter Bettnässer dargestellt wird, dem aber doch gelegentlich überraschende (sogar "selbstreflexive") Erkenntnisse in den Mund gelegt werden ("Man hält mich für lächerlich genug, in einer Kulisse herumzulaufen"), dann ist die Angst davor, ihn ein weiteres Mal als Dämon darzustellen, in ihr Gegenteil umgeschlagen, in selbstgewisses Stammtischfeixen über eine sich auf der armen Katja Riemann vergeblich abarbeitende Witzfigur.

Das eigentliche Zentrum des Handlung, der von Ulrich Mühe gespielte Grünbaum, ist zu Beginn und am Ende auch der Erzähler des Films. Damit er die Position Levys vertreten kann, muß er sich nicht nur als Coach, sondern auch als Amateur-Psychoanalytiker betätigen. Das soll wohl im argumentativen Gefüge des Films die ernsthafte Projektionsfläche sein, ohne die keine Komik funktionieren kann. Gegen die von Levy inszenierte, von lauter Schießbudenfiguren in Bewegung gehaltene Comedy-Maschine hat die Grünbaum/Mühe/Levy-Mixtur aber keine Chance. Denn sie kommt nicht "direkt aus einem Schiller-Drama" (so Jutta Brückner im Freitag), sondern aus der hausbackenen Dramaturgie von staatstragenden deutschen Fernsehspielen.

Nirgendwo hat das Lachen Veranlassung, einem im Halse stecken zu bleiben. Die politische Korrektheit, die der Regisseur eigentlich ablehnt (um statt ihrer Moralität für sich in Anspruch zu nehmen), bestimmt weitgehend eine im Grunde harmlose Konstruktion, die sich eigentlich als Gegenstück zum Untergang (Eichinger/Hirschbiegel) verstanden wissen wollte. Die hier präsentierte Empathie für Hitler ist aber ebenso erkenntnisfeindlich wie die tragische Figur, die Bruno Ganz konstruiert.

Günter Giesenfeld