Goya geistert

Francisco de Goya y Lucientes (1746 - 1828) war ein Künstlertyp, der wie geschaffen scheint für eine dramatische Darstellung seines Lebens. Er war seiner Zeit weit voraus, stellte sich gegen die Unverbindlichkeit des ausgehenden Rokoko mit einem Realismus, den es in Spanien und Europa erst hundert Jahre später wieder geben sollte. Er wurde 1799 Hofmaler des Königs Karls IV, Zeuge der französischen Revolution und ihrer Auswirkungen auf Spanien (Eroberung durch Napoleon) und starb schließlich im Exil in Frankreich.

Seine künstlerische Opposition war ihrem Wesen nach aufklärerisch, legte die Armut und Unterdrückung der Bevölkerung schonungslos offen, und selbst als Hofmaler schuf er Portraits und Gruppenbilder, die realistisch, aber im Zeitsinn "häßlich" waren. Frühere Gestaltungen des Stoffs (wie Feuchtwangers Roman, 1969 verfilmt von Konrad Wolf) schöpften denn auch aus der Künstlerexistenz in wechselnden politischen Absolutismen ihre historische Spannung und Figurenzeichnung.

Milos Forman scheint dies in seinem Film Goyas Geister nur am Rande zu interessieren. Aufschlußreiches Beispiel ist die Szene, in der der oberste Inquisitor, der Mönch Lorenzo, zu Gast ist bei dem reichen Kaufmann, dessen Tochter Inès eingekerkert wurde, weil sie unter Folter zugegeben hatte, sie sei eine "judaisierende" Person. Der Vater, einer der reichsten Sponsoren der Kirche, glaubt nicht, daß die Folter wirklich die Wahrheit hervorbringen kann. Und beweist seine Auffassung durch ein spektakuläres Experiment: Er läßt Lorenzo fesseln und foltern, bis dieser unterschreibt, er sei der Sohn eines Affen. Goya, die Titelfigur des Films, ist dabei und schaut zu. Seine Gesichtszüge sind kaum deutbar, aus dem Kontext mag man Betroffenheit assoziieren, eigentlich aber geistert er praktisch unbeteiligt durch den Film.

In Amadeus (1984, 8 Oscars) hatte Forman eine historisch nicht belegbare, aber dramaturgisch fruchtbare Diskrepanz zwischen den Werken des Komponisten und der Filmfigur inszeniert. Mozart ist alles andere als ein Genie, seine Präsentation steht in einem auffälligen Gegensatz zu der im Soundtrack allzeit präsenten klassischen Musik. Er erscheint kindlich und unreif. Das kann bei Mozart interessant sein, nicht aber bei einem Kunstrevolutionär wie Goya.

Der hat bei Forman die Schärfe des kritischen Blicks komplett eingebüßt, mit der er in seinen Werken seine Umwelt erfaßt. Der Erzähler konzentriert sich auf die Figur des Inquisitors, der uns später als Vorreiter der Aufklärung unter Napoleon präsentiert wird. Lorenzo ist ein Opportunist, ein Bösewicht, von Javier Bardem so chargenhaft gespielt, daß man ihm seinen kläglichen Untergang gönnt. Sobald er in den Mittelpunkt tritt, sind wir im Kostümspektakel à la Parfüm gelandet.

Der Genrewechsel wird in jener Szene besonders deutlich, in der Lorenzo sich in den Kerker begibt, um Inès zu besuchen. Die Kamera begleitet ihn durch die Verliese, in deren Nischen die Gefangenen dahinsiechen, und mehrmals wendet sich der Mönch, konfrontiert mit den realen Auswirkungen seines Handelns, angewidert ab. Doch dann entdeckt er die junge Frau und - vergewaltigt sie. Inès ist, im Gegensatz zu den anderen Gefangenen, nackt und ihr Körper ist schön und so sauber, als käme sie gerade aus der Dusche. Lorenzo schwängert sie, und fortan geht es, in jenem keimfreien Hochglanz-Realismus, den wir aus Hollywood gewohnt sind, nur noch um die ungeklärte Vaterschaft. Natalie Portmanns schauspielerische Fähigkeiten sind nicht mehr gefragt. Sie darf sowohl die verrückt gewordene Mutter, als auch ihre kokette Tochter mimen, die sich an die Franzosen verkauft. Ihr grausames Leiden wird ihr per Schminke weiß ins Gesicht gekalkt. "Der Priester und das Mädchen, das ist die wichtige Geschichte", sagt Milos Forman im Interview. Es ist eben keine Geschichte, sondern eine banale, klischeehafte Story, für die ja es vielleicht noch einen Oscar gibt.

Günter Giesenfeld