AIDA wird 50

Nein, hier ist weder die Opernfigur noch eine neue Gewerkschaft gemeint: AIDA war in den 1960er Jahren die wissenschaftliche Formel für die Wirkungsplanung von Werbung, die Abkürzung für: attention, interest, desire und action. Seit es Werbung im (west)deutschen Fernsehen gibt, ist dieses Medium zu ihrem Hauptträger geworden, wahrscheinlich, weil man nur in seinem Programmfluß die Aufmerksamkeit für Werbung mit Gewalt erzwingen kann.

Es fing am 3. November 1956 an: Der Bayrische Rundfunk strahlte in der Sendung Zwischen halb und acht den ersten Werbespot aus (für Persil). Die Münchner mußten sich damals gegen den Widerstand aller übrigen Sender durchsetzen. Die Werbung ist als eigentlich ungeliebtes Element ins Fernsehen gekommen, seitdem aber zur Basis der ökonomischen Existenz von weit mehr als der Hälfte aller Kanäle geworden.

Schon früh wurde erkannt, daß das Publikum (von ein paar Freaks abgesehen) nicht freiwillig bereit ist, sich Werbung im Fernsehen anzuschauen. Zur Überwindung dieser Renitenz wurden die Programme durch Spots unterbrochen, was bei bestimmten Sendeformen (Serien) schon im Drehbuch berücksichtigt wird. Ein cliffhanger unterbricht die Handlung an einer Stelle, wo es besonders spannend ist, damit die Werbung ein Interesse ausbeuten kann, das gar nicht ihr gilt. Deswegen kommt dem bald so genannten "Werbeumfeld" eine besondere Funktion zu. Die in dieser Zeit laufenden Sendungen müssen interessant genug sein, damit die Spannung ausreicht, den break zu überdauern.

Wenn man von Taktiken wie Klogehen oder Bierholen (die wohl weniger verbreitet sind als es ihre dauernde Zitierung vermuten läßt) absieht, sind große Teile des Programms der öffentlich-rechtlichen und das gesamte Programm der privaten Sender mehr oder weniger zum "Anlaß" für die Plazierung von Werbung geworden. Diese Funktionszuweisung macht auch nicht vor Sendungen halt, die dafür weder vorgesehen waren noch geeignet sind, etwa die Übertragung von Spielfilmen. Alle Versuche von auch sehr berühmten Regisseuren, ihr geistiges Eigentum vor solchen Verstümmelungen ihrer Dramaturgie zu schützen, sind fehlgeschlagen, und es wundert fast, daß die Werbeunterbrechung noch nicht in den Cineplexen eingeführt wurde.

Auch die Fernsehwerbung hat ihre nostalgischen Bezugspunkte. In der früher Zeit waren ihre Naivität und ihre Produktbezogenheit oft verbunden mit einem gewissen distanzierenden Humor (das HB-Männchen, die "sexy" Spots für Afri Cola oder der Familientisch als Schauplatz so mancher "Orientierungshilfe" zur zeitsparenden Lösung des Kochproblems). Später wurde die Ausrichtung am Produkt als "Sinnleere" diagnostiziert und dagegen die "Abstraktion" ins Feld geführt. Die Szenarien konzentrierten sich nunmehr ganz auf das Ansprechen allgemeiner Glücksbedürfnisse, eines gewissen Hedonismus, der im Publikum ab den 1980er Jahren zweifellos vorhanden war. In das propagierte Lebensgefühl wurden auch nicht-angepaßte Verhaltensweisen integriert. Und die "Handlung" eines narrativen Spots (ein Problem wird durch Kauf gelöst) darf inzwischen ruhig skurril bis schlicht blöd sein.

Aber trotz aller Variationen haben die messages der Spots doch einen überraschend einheitlichen emotionalen Hintergrund: ein vages, pseudonaives Vertrauen auf den Konsum als (einzige?) Möglichkeit, heutzutage noch ein Glücksversprechen einleuchtend zu generieren, Verläßlichkeit zu fingieren. Die chronischen Anfälle von künstlichem Optimismus, die inzwischen auch jede ernsthafte, kritische Reflexion über den Zustand unseres Gemeinwesens oder des Lebens unterbrechen können, wirken auf diese Sendungen zurück. Sie üben den immer selben schizophrenen Verdrängungsakt ein, gegen alle Lebenserfahrung an die brave new world des Konsums zu glauben. Sie sind, wenn man's zu Ende denkt (z.B. in eine Zukunft ohne öffentlich-rechtliche Sender), lauter Offenbarungseide der zivilisierten Gesellschaft.

Günter Giesenfeld