Päpstlicher Ausnahmezustand

"Nein, wir können nicht kommen", sagen die Bekannten. Der Hauptbahnhof sei gesperrt und man wisse nicht, ob überhaupt Züge fahren. Auf meine als schlechter Witz gemeinte Frage: "Was ist denn los, habt ihr einen Terroranschlag" wird ernst geantwortet: "Nein, Terror nicht".

Meine Bekannten wohnen in Regenburg, und dort war der Papst, und das hatte Folgen: Das öffentliche Leben der 150.000 Einwohner fand nicht mehr statt. Die gesamte Innenstadt war voll abgesperrt, alle Parkplätze schon seit 6 Tagen, Geschäfte und Betriebe wie BMW geschlossen, weil die Leute nicht zur Arbeit kommen konnten. Wer unabdingbar war, mußte am Arbeitsplatz übernachten. 400 Betten wurden in den Krankenhäusern "für alle Fälle" leergeräumt, mehrere Operationssäle wurden unbenutzt bereit gehalten. Alle Fenster mußten geschlossen bleiben, und zu den Kundgebungen war es verboten, Regenschirme mitzubringen.

Der Papst ist, das wissen wir jetzt, kein Deutscher, sondern ein Bayer, und mit seinem "privaten" Besuch in seiner alten Heimat hat er nicht nur dort, sondern in der ganzen Republik den größten Hype seit der Fußball-WM ausgelöst. Die Katholische Kirche ließ sich das Spektakel ca. 30 Millionen Euro kosten, aber vielleicht haben ja Angela und Edmund etwas beigesteuert angesichts der wirkungsvollen Werbung für ihre Parteien. Fachleute sprechen von einer hervorragenden PR-Arbeit der Kurie. Der "Benedetto-Boom" bediene eine anderswo nicht gestillte Sehnsucht nach Begeisterung für etwas Gemeinsames, den Wunsch nach "Vereinfachung, die ja Bedingung für Massenbegeisterung ist". Und die Kunden erkennen: "Diese Marke ist aktuell, sie ist relevant, sie spricht mich an, ich möchte dazugehören." (Werbeagenturchef Wolf Heumann in der Frankfurter Rundschau).

Die Botschaft des Warenzeichens Ratzinger war tatsächlich ganz einfach: mehr beten, mehr Gott. Dabei greift der Bayer, der sich eigentlich eher zurückhaltend-scheu gibt, Defizite unserer Gesellschaft auf, deutet sie aber konservativ-ekklesiastisch. Er kritisiert das "wissenschaftsorientierte Nützlichkeitsdenken", das sich nur "zukünftigen Erfolgen der Forschung" verschreibe. Noch mehr regt ihn "die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht" auf, nennt letzteres daher "zynisch". Was oberflächlich vernünftig klingt (es könnte auch eine Kritik an gewissen Tendenzen etwa der Gentechnik sein), verkommt zu Katechismus-Klischees, wenn man die jeweils angebotenen Alternativen hört: Statt Wissenschaft predigt er den Glauben, statt Freiheit der Kritik die Ehrfurcht vor Gott. Ja selbst die Arbeit der eigenen Kirche in Hilfsprojekten in Asien und Afrika ist ihm "zu sozial", sie vernachlässige die evangelikale Komponente. Denn "das Soziale und das Evangelium" seien "einfach nicht zu trennen". Wer über solche Äußerungen ein wenig nachdenkt, entdeckt einen unterschwelligen Zynismus: Soziale Arbeit und soziales Engagement der Kirche sollen nicht in erster Linie denjenigen dienen, denen sie zuteil werden, sondern es soll mit ihnen der Glauben propagiert und verbreitet werden. So haben auch die Missionare in früheren Jahrhunderten ihre Aufgabe aufgefaßt und dabei die koloniale Eroberung und Unterdrückung unterstützt und deren wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen die Legitimation verschafft, im Namen des christlichen Abendlandes zu handeln.

Der Papst beklagt "die Gottlosigkeit des Westens" - der Osten scheint ja wohl inzwischen geheilt -, die Menschen seien "schwerhörig" Gott gegenüber: "Wir können ihn nicht mehr hören, zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr" Frequenzen? Er hat das Wort wirklich gebraucht und damit sicher nicht den Bayrischen Rundfunk gemeint, der (wie zuletzt vor genau fünf Jahren) sein ganzes Programm umwarf und flächendeckend auf Papstverklärung schaltete. Vielmehr hat er gemerkt, daß die Antenne Mensch sich in einer Welt bewegt, in der die Kirche nicht mehr der einzige Sender ist. Und das nicht, weil er seine Botschaft nicht ausreichend zu vermarkten weiß, sondern weil diese tendenziell fundamentalistisch ist. Auch wenn sie bei jugendlichen Backpackern derzeit gut ankommt.

Am Ende von Tag 1 meldet Radio Bayern: "Die Polizei leistet Maßarbeit". Jawohl. Am Tag 2 in Regensburg auch. Die Gottesdienste im Freien waren 100 pro schirmfrei. Und siehe, Gott hat es nicht regnen lassen.

Günter Giesenfeld