Staatskunst

Der Film wurde viermal mit dem bayrischen Filmpreis ausgezeichnet und für den Deutschen Filmpreis in elf Kategorien nominiert, zum Wettbewerb der Berlinale aber nicht zugelassen: Das Leben der anderen von Florian Henckel von Donnersmarck, die ‚engagierte' low budget Produktion, in der die besten bundesrepublikanischen Schauspieler für wenig Geld mitmachten, wurde dann von Walt Disneys Buena Vista Verleih in die Cineplexe befördert.

Ausnahmsweise hat die FAZ die richtigen Worte über diesen "Konsensfilm" gefunden: "Er tut niemandem weh, er organisiert Einverständnis, indem er noch im Scheitern und im Sinnlosen einen Sinn findet, aber er ist nie aufregend oder originell". Der Film ist politisch so überkorrekt, daß er zur BRD-Staatspropaganda taugt, aber er ist kein Politthriller wie die Filme von Costa Gavras, sondern eigentlich ein Melodram, in dem die DDR einmal mehr eine reine Statistenrolle hat.

Trotzdem behaupten die Fans, die in der Kritik und anscheinend auch im Publikum die Mehrheit bilden, daß er "die Wahrheit" über die DDR zeige. Aber gerade das tut er nicht, obwohl er eine SED-Politstory erzählt: Stasi-Offizier Wiesler (Ulrich Mühe) soll den Schriftsteller Dreymann (Sebastian Koch alias Albert Speer) aushorchen, wandelt sich aber zu dessen heimlichem Helfer. Dreymanns Frau, die Schauspielerin Christa (Martina Gedeck) gibt sich wg. Förderung ihrer Karriere dem Kulturminister hin, verrät ihren Mann und läßt sich von einem LKW überfahren. Dank Wieslers Hilfe muß der Verdacht gegen Dreymann fallen gelassen werden und dann kommt sowieso die Vereinigung. Der Schriftsteller schreibt ein Buch, das er in Dankbarkeit dem stillen Komplizen widmet, der jetzt von Haus zu Haus geht und Werbeprospekte verteilt.

Weder eine Figur wie den Stasioffizier, der vom Saulus zum Paulus wird, noch den Schriftsteller, der trotz angepaßter literarischer Produktion bespitzelt wird, habe es je gegeben, meint der Leiter der Stasi-Gedenkstätte, Hubertus Knabe. Die "Dissidenten" haben sich in ihrer Mehrzahl nicht gegen den Sozialismus aufgelehnt, sondern gegen sein Zerrbild DDR. Und ein Kulturminister, der in diesem Amt nicht einmal Mitglied des Politbüros war, konnte der Stasi keine Anweisungen geben und auch nicht die Karriere eines Offiziers beeinflussen. Das Bespitzelungssystem habe gerade deshalb funktioniert, weil es eine umfassende Kontrolle auch der eigenen Leute gegeben habe, weshalb ein Fall "Wiesler" weder bekannt geworden noch vorstellbar sei.

Sinn machen solche auffallenden Verfälschungen nur, wenn man in Genrekategorien denkt: Die "Entwicklung" Dreymanns vom regimetreuen Barden zum Dissidenten wird durch Eifersucht ausgelöst, durch seine Bespitzelung (ohne politischen Verdacht) will der dicke Minister seinen Nebenbuhler ausschalten. Wiesler gerät in Zweifel über die moralische Berechtigung seiner Tätigkeit, als er das "Leben der anderen" näher kennenlernt - aber nicht Nachdenklichkeit und politische Einsicht, sondern Beethoven und ein Liebesgedicht von Brecht lösen die "Bekehrung" aus.

Das Melodram kann sich nur im privaten Bereich entfalten, weil es nur zwei Triebkräfte im Menschen kennt: Eifersucht und Liebe. Damit die Liebe auf Widerstände stoßen kann, braucht es ein gesellschaftliches oder geschichtliches Konfliktumfeld, und das kann die Naziherrschaft ebenso gut sein wie Stasiland oder der amerikanische Bürgerkrieg. Politische Beweggründe sind in den Gesprächen dieses Films auch nur in ganz abstrakter Form präsent. Als auffallendes Motiv taucht ein Musikstück auf: Die Sonate vom Guten Menschen. Auch Dreymanns postsozialistischer Roman trägt diesen Titel. Und Wieslers Bekehrung erhält ihre Beglaubigung durch Christas Satz: "Sie sind ein guter Mensch". Es geht ums Gutsein. Und die Frau, die nicht gut ist, muß dies, wie immer im Melodram, trotz Selbsterkenntnis mit ihrem Tod bezahlen - eigentlich eine Rolle für Bette Davis.

Das Leben der anderen ist (noch) kein reines Melodram. Die DDR ist noch zu nahe, eine Negativ-Schablone, die noch gebraucht wird. "Politisch ist der ganze Film ein Bluff" (Rüdiger Suchsland, heise telepolis), ideologisch korrektes Erbauungskino. Die DDR als gesellschaftliches Alternativ-Modell soll entsorgt werden - in Komödien vor allem und jetzt auch in diesem Produkt nach dem Geschmack bayrischer Filmpolitik - und mit ihr die Versuchung, aus der Vergangenheit zu lernen.

Günter Giesenfeld