"History"-Kultur à la ZDF

Das ZDF hat sein "Fernsehereignis des Jahres" schon im März abgeliefert - da fragt man sich, was danach noch kommen soll. Und ich fühle mich an die Kino-Werbung einer Sexbar erinnert: "Unsere Filme werden jede Woche durch bessere ersetzt" - schwindelerregend das!

Dresden also. Ein zweiteiliger Fernsehfilm "gegen den Krieg, für eine größere Mitmenschlichkeit", und der Beweis, "daß in einem Bombardement auch die Liebe zwischen die Menschen findet" (alle nicht anders belegten Zitate aus der ZDF-Werbung). Ein englischer Bomberpilot, über Magdeburg abgeschossen, schlägt sich verletzt durch bis Dresden und versteckt sich in einem Krankenhaus. Die Krankenschwester Anna, eigentlich Studentin und Tochter des Chefarztes, entdeckt den Gast im Heizungskeller, und dann findet die Liebe "zwischen diese beiden Mitmenschen", trotz Bauchschusses schlafen sie miteinander und diese love story wird alles überdauern, auch das alliierte Inferno, bei dem das "Gesamtkunstwerk" Dresden zerstört wird.

Die fiktionale Handlung, welche das Kriegsdrama dem Fernsehzuschauer "verstehenszugänglich" machen soll, konzentriert sich auf einen Engländer (mit deutschen Vorfahren) als Hauptfigur, was zunächst als clever erscheinen kann. Damit sollte der gefürchtete Effekt, "revanchistische Gelüste zu bedienen", vermieden werden. Aber wenn die Alliierten, die die Stadt ja wohl "sinnlos zerbombt haben" (Pfarrerdarsteller Wolfgang Stumph), nicht die Bösen sind, wer ist es dann?

Eins ist sicher: die Deutschen, die im Film vorkommen, nicht. Dieses Film-Dresden des Jahres 1945 ist erstaunlich nazifrei. Gewiß, ein paar Fahnen finden sich, auch ein Blockwart und einige schnarrende Militärs, aber alle Hauptfiguren sind keine Nazis, sondern Opfer: nicht nur die jüdischen Mitbürger, sondern auch der korrupte Chefarzt: er hortet zwar Morphium, weshalb die Kranken ohne Betäubung operiert werden müssen, hat aber dabei nur das Wohl seiner Familie in der postgroßdeutschen Ära im Auge - ein edles Motiv? Als sie dann fliehen wollen, ist der Zug nach Basel schon wg. Bombenterror ausgefallen. Lauter "moralische Deutsche, die an moralischen Konflikten zerbrechen (…) am Scheideweg zwischen Pflicht und Überlebenstrieb" (Heise telepolis).

Da der Film die Regeln des Melodrams befolgen muß, in dem tatsächlich Menschlichkeit nur als Mitmenschlichkeit, also Liebe vorkommt, gerät die aufwendig inszenierte eigentliche Bomberei (etwa 20 min im zweiten Teil) zum eher harmlosen Versteckspiel. Zwar müssen wir ein paar ‚erschütternde' Szenen im Luftschutzkeller miterleben, dann aber, im Freien, effektvoll erleuchtet durch die brennende Stadt, treffen alle Protagonisten genremäßig korrekt zusammen, und auch der Engländer ist willkommen im Kreis der ums Überleben Kämpfenden. Es stirbt der Vater, sonst aber nur Statisten. Und die Liebenden finden sich hoch auf der Ruine der Frauenkirche, die eine Minute später schon wieder aufgebaut ist. Bundespräsident Köhler zitiert Gerhard Hauptmann.

"Nie wieder Krieg", dieser hehre Ruf wird mißbraucht, um von den Urhebern dieses Kriegs abzulenken. Wo die Dresdner Frauenkirche zum Symbol wird (wie das Berliner Schloß oder ähnliche geschichtliche Siglen), da verblassen die anderen, z.B. Auschwitz. Und man fragt nicht mehr, warum es nie irgendwo eine ähnliche Kampagne für den Wiederaufbau einer Synagoge gegeben hat. Das ZDF hält sich zugute, im Fernsehen eine neue Kultur der Geschichtsvermittlung zu betreiben (andere Sender helfen mit), aber es ist nicht nur der Quotendruck, der bewirkt, daß die krampfhafte Bemühung um politische Korrektheit zur simplen Propaganda wird. Das Publikum habe "ein Recht darauf, Geschichte so zu erfahren, daß sie nicht nur seinen Intellekt anspricht" (ZDF-Redakteur Endert). Was sonst? Emotionen, den Sinn für spannende weichgespülte Tragik - und eine Staatsdoktrin, in der die Rückbesinnung auf die Verbrechen von einer neuen Opfermentalität verdrängt wird.

Was an Rezeptionszurichtungen bei Naturkatastrophen-Filmen à la Die Sturmflut oder patriotischen Lehrstücken à la Die Luftbrücke eingeübt wurde, sorgt nun, allen vorgebrachten gegenteiligen Vorsätzen zu Trotz, für eine revanchistische Wirkung - eine Folge der unerträglich naiven Haltung der Macher: "Die Bombe kennt keinen Unterschied. Sie demokratisiert das Sterben", sagt Drehbuchautor Kolditz. Der "deutsche Versöhnungskitsch" (Tagesspiegel) erstickt jede Chance, im Event die Geschichte zu erkennen, denn sie ist nur noch ein Kollateralschaden.

Günter Giesenfeld