Unter Beschuß

Macht Bild gegen sich selber Reklame? Erstaunte Passanten können in diesen Tagen Slogans auf Plakatwänden und an Bushaltestellen lesen, die an die Zeit der Studentenrevolte erinnern: "Entmachtet Bild", "Nieder mit Bild" oder "Lest keine Bild". Klar wird der Trick erst, wenn man weiter liest: Die Parole wird nicht existierenden Organisationen zugeschrieben mit Namen wie "Bund der korrupten Politiker", ".. der Doping-Sportler" usw. Ist es ein Zufall, daß die schrille Kampagne gerade jetzt die Vorweihnachtsstimmung aufstört?

Bis zum Erscheinen dieser Medienkritik wird der Fall womöglich schon entschieden sein: Der Springer Verlag will den TV-Konzern SAT 1/Pro sieben übernehmen, hat dabei aber nicht damit gerechnet, daß die Behörden, die einer solchen Konzentration zustimmen müssen, einmal über den Rand ihres fachlichen Horizonts hinaus nachdenken würden. Sie nennen die Übernahme nämlich "eine Verzerrung des Wettbewerbs", obwohl es sich um verschiedene Medien handelt. Springer als Zeitungsverleger würde im Falle einer Fusion mehrere Fernsehsender (die für sich bereits einen mächtigen Konzern bilden) übernehmen: SAT 1, PRO 7, Kabel 1 und N 24. Im Printbereich gehören zu Springer außer der Bildzeitung noch mehrere Publikums- und Programmzeitschriften, außerdem ist Springer an einigen privaten Radiostationen beteiligt. Daß hier ein Meinungs-Machtzentrum bereits besteht, das nun noch größer werden würde, sah die Medien-Kontrollkommission KEK als gegeben an, obwohl es sich wirtschaftlich gesehen nicht um den Zusammenschluß von direkten Konkurrenten handelt. Auch das Bundeskartellamt hat die Fusion als "schädlich für den Wettbewerb" eingeschätzt. Und die Medienkommission glaubt, so deren Geschäftsführer Bern Malzanini: "Zusammen mit dem Verlag wird der Fernsehkonzern eine vorherrschende Meinungsmacht erlangen" (FR).

Damit haben die beiden Institutionen erstmals die in der Wissenschaft längst selbstverständliche Erkenntnis zum Maßstab ihrer Meinungsbildung gemacht, daß die verschiedenen Medien eine übergreifende Wirkung entfalten, wenn sie in einem gewissen Sinn gleichgeschaltet sind - auch wenn diese Gleichschaltung nur darin besteht, daß sie alle dem sogenannten "Boulevard" angehören, also durch Betonung der "Unterhaltung", der Sensationslust und Marktschreierei nur indirekt eine politische Wirkung entfalten. In die Kriterien für die Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen ist damit ein Gesichtspunkt eingegangen, mit dem das Springer-Management nicht gerechnet hatte.

Dieses ist nach eigener Aussage mit den Wettbewerbshütern im Gespräch und hofft auf eine einverständliche Lösung. Aber wie könnte die aussehen? Sollen jetzt in wirtschaftliche Übernahmeverträge plötzlich inhaltliche Bestimmungen aufgenommen werden, Regeln etwa, wie eine "Meinungsvielfalt" trotzdem garantiert werden könnte? Das wäre in der Tat ein kurioser, kaum kontrollierbarer Vorgang, ganz abgesehen davon, daß damit indirekt eine Gesetzgeberfunktion angemaßt würde.

Man hofft auf eine Entscheidung des neuen Wirtschaftsministers Michael Glos. Sollte es zu einem Verbot der Fusion kommen, wird der CSU-Politiker wohl sein Recht, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, einem Münchner Unternehmen nicht versagen wollen. Aber auch wenn er auf diese Weise "gewinnen" sollte, hat der Springerverlag eine unüberhörbare Warnung erhalten.

Offizielle demokratische Institutionen mucken auf, die Auflage der Bild sinkt langsam, aber stetig, da kann einer schon mal public-relationmäßig in Panik geraten und zur sozialen Hetze greifen. Denn mit den erwähnten Slogans wird auch ein "Bund der Sozial-Schmarotzer" zitiert. Bild als Anwalt der Guten wendet sich gegen alle, die die Zeitung schon immer diffamiert hat. Eigentlich werden damit aber Menschen, die aus weiß Gott guten Gründen Kritik am "Revolverblatt" üben, zum Gesindel erklärt. Die bewußt amateurhafte "Gestaltung" der Plakate - teilweise ist noch der Tesafilm zu sehen, mit dem die Bildelemente (darunter auch eine Bombe) zusammengeklebt sind - zitiert direkt Aktionsformen der Vergangenheit und bringt sie zudem in die Nähe des Terrorismus.

Könnte man gegen die nur juristisch ins Fiktive zielende Diffamierung vor Gericht ziehen, ohne, sagen wir, ein "bestochener Schiedsrichter" zu sein? Oder könnte man selbst gerichtlich belangt werden, wenn man ein ähnliches Plakat machte, das unterschrieben wäre: "Bund der Vernünftigen"? oder: "Das deutsche Volk"?

Günter Giesenfeld