Die Grimm-Story

Der deutsche Verleiher hat den Titel des Films nicht übersetzt, The Brothers Grimm klingt anscheinend besser, aber gemeint sind tatsächlich die beiden urdeutschen Märchenonkels, Jakob und Wilhelm Grimm. Nun heißen sie Jake und Will, und der Film über sie ist Teil einer im Verlauf eines langen Lebenswerks entstandenen Phantasmagorie mit realen Versatzstücken, eben jener Welt des Fantasy-Films, wo immer schon das Fürchten, Wundern und Träumen die eigentlichen events sind, auch da, wo sich die Helden mannhaft-naiv auf die perversesten Abenteuer einlassen.

Der Amerikaner Terry Gilliam fühlt sich in besonderer Weise mit einem fiktiven Europa verbunden, einem Land der Märchen und der Romantik, das er vor allem in den alten Legenden, etwa der vom König Artus wiederfand. Amerika war dagegen der Hort des Pragmatischen, Rationalen, in dem das Leben erstickt wird, weil es sich nach Romantik, Träumen sehnt, was Gilliam als Bedürfnis nach einer fantastischen, surrealen Welt interpretiert, wie sie in den alten Mythen des Mittelalters erzählt wurde.

Aber Gilliam ist zu gebildet (abgeschlossenes Studium der Politikwissenschaft), als daß er solche Phantasien ungebrochen gestalten könnte. Während seiner Zeit in England (1960er Jahre), wo er der Komikergruppe Monty Python's Flying Circus angehörte, hat er den typisch englischen, ironisch gebrochenen Humor kennengelernt und zu einem Element seiner Weltsicht gemacht. Wissenschaft und Ironie brechen seitdem in seinen Filmen stets die naive Sicht der Kinderhelden, die jedoch dadurch in ihrer Reinheit um so glänzender aufscheinen - um unterzugehen.

Es hat lange gedauert, bis sich seine Filme (mit Ritter der Kokosnuß 1975) von der eher situationsgebundenen Nonsense-Komik der Monty Python-TV-Serie bis hin zu normalen narrativen Strukturen entwickelt hatten. Aber der Durchbruch brachte ein neues Widerspruchsfeld ein: Die Spannung zwischen Bildmagie und Handlungsdramaturgie, die auf die bipolare Herkunft des Kinos zurückverweist. Das frühe Jahrmarkts- und Zirkuskino setzte auf die "Attraktionen" einzelner Nummern, die aneinandergereiht wurden wie in einem Music Hall Programm. Und das seit 1908 in den USA entwickelte Erzählkino führte den Plot ein, ein striktes, in sich geschlossenes Handlungsgefüge, in dem einzelne Bilder keine eigene ästhetische Funktion mehr haben durften.

Im Fantasy-Kino scheint sich der Vorgang wieder einmal, und nun umgekehrt abzuspielen. Der extreme (und extrem teure) Aufwand der Inszenierungen und Bauten drängt sich in den Vordergrund, die Anreihung von momentanen Angstvisionen lassen die Erzählung in den Hintergrund treten, ja, sie bleibt seltsam unklar, bedient sich im Falle Gilliams der bereits brüchigen Struktur des Märchens, wo es keine rationalen, sondern nur iterative, als Wunder sich ereignende Verknüpfungen gibt.

The Brothers Grimm besteht aus einer kleinen Assoziations-Anthologie aus den Grimm'schen Märchen, die übergreifende Fabel von der Rettung der zwölf Jungfrauen hält das Ganze nur notdürftig zusammen. Das Hollywood-Deutschland mittelalterlicher Prägung scheint direkt aus Fritz Lang Filmen abgeleitet, es wird belebt durch einen lockeres Puzzle von ineinander verschachtelten Märchenmotiven. Gilliam treibt die Komplexität der Scheinbezüge auf die Spitze, indem er die historischen Grimm-Brüder als fiktive Gestalten, als Regisseure eines Spiels im Film auftreten läßt und auch auf sie das Gegensatzpaar von Rationalität und Traumverlorenheit überträgt. Das hat einen Anflug von Intellektualität, ist aber eigentlich nur ein Spiel mit Versatzstücken, welche die Pausen zwischen den märchenhaften Schocks der special effects ausfüllen sollen. Immerhin bieten sie ein weites Feld für soziologische, gesellschaftskritische oder (tiefen)psychologische Deutungen, auch die derzeit hoch im Kurs stehende Selbstreflexivität läßt sich leicht bescheinigen.

Die letztlich postmoderne Beliebigkeit steht im Gegensatz zu einem sowohl kindlich-naiven als auch grobschlächtigen Zugriff auf den Stoff, und das Ergebnis ist eher langweilig. Er habe sich von den "germanischen" Versionen der Märchen angezogen gefühlt, sagt Gilliam im Interview, denn "sie scheinen mir viel urtümlicher, die Franzosen sind feinsinniger, aber ehrlich gesagt, das Feinsinnige liegt mir überhaupt nicht" (FR, 7.10.). Wo er recht hat, hat er recht.

Günter Giesenfeld