Frust mit Rust

Es hätte auch eine BILD-Schlagzeile werden können: "Stoiber und Wulff siezen sich wieder!!" Bettina Rust, die neue Talkmasterin von SAT 1, konfrontierte ihren Studiogast, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) mit dem, was sie da erfahren hatte über einen Streit zwischen den beiden Wahlkämpfern der Union. Dieser nutzte die Vorlage für eine Lobrede auf den bayrischen Ministerpräsidenten, die mit der Behauptung endete: "Ich finde ihn irgendwie knuffig".

Knuffig? - das ist eine wohl ebenso unerwartete wie offensichtlich abwegige Charakterisierung des CSU-"Randalierers" (FR). Die professionelle Art, wie Wulff die Talkshow zur Wahlwerbung nutzte, machte auf einen Schlag das Dilemma des neuen Formats sichtbar: Wenn man einen Politprofi mit zwei netten, aber harmlosen weiteren Studiogästen kombiniert (in diesem Fall mit der Schauspielerin Minh Khai Phan Thi und dem Journalisten Henryk M. Broder), die sich als über den Parteien schwebende Gutmenschen profilieren und entsprechend lustige oder zynische Aperçus absondern, dann haben die Parteipropagandisten leichtes Spiel. Und Otto Schily (ihm saßen in der ersten Sendung Harald Schmidt und der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gegenüber) ist selber schuld, wenn er die Chance nicht so dreist genutzt hat wie Wulff, immerhin gab es auch da eine sensationelle Information: Im Hause Schily läuft man ohne Schuhe herum!

SAT 1 hat ein neues Format gestartet, eine "gesellschaftspolitische Talkshow", moderiert von der Radiosprecherin Bettina Rust, die nach eigener Aussage "keine ausgewiesene Politik-Journalistin" ist. Sie will seriöse Diskussionen über (jeweils vier) aktuelle Themen auslösen, unter Einschluß des "Boulevardesken" (Interview im Spiegel). SAT-1-Chef Roger Schawinski sieht in der neuen Talkshow ein Prestigeprojekt, will damit auf "Informationskompetenz" setzen, und im Pressematerial des Senders werden hohe Ansprüche formuliert: "Deutschland steht vor einem Umbruch. Eine heftige Diskussion um die Zukunft des Landes ist im Gange." Man wolle "neue Zielgruppen für gesellschaftspolitische Themen interessieren".

Bettina Rust weiß, warum sie für den Job ausgewählt (und einer Riege von männlichen "meinungsstarken Journalisten" vorgezogen) wurde: Schawinski habe an ihr die "unstrukturierte Art zu fragen" geschätzt, "das Fehlen jeder wissenden Attitüde". Unter der Vorgabe, sozusagen kopfüber in die Diskussion wie in ein Haifischbecken zu springen, "brabbelt" (FR) und "hibbelt" (taz) sie herum, als dürfe sie sich gar nicht für die behandelten Themen und Meinungen interessieren. Es kommt dabei heraus, was nur herauskommen kann: Langeweile, wenn die Parteipolitiker nicht so frei reden können, oder wenn für die anderen Gäste Politik ohnehin nur ein Kasperltheater ist - oder Propaganda. Lebendig wurde es erst, als es um Fußball ging. Ansonsten: wirr, witzlos, frustrierend.

Der Talk der Woche, wie das neue Format heißt, ist Teil einer Seriositätskampagne des privaten Senders mit vorerst noch blamablen Einschaltquoten von 6,4 %. Seine Lancierung (von einer auffallend lauten Pressekampagne begleitet), fällt zeitlich zusammen mit einem medienpolitischen Umbruchprozeß, der durch die Übernahme der gesamten Sendergruppe SAT 1, PRO 7, Kabel 1 und noch einiger kleinerer Kanäle durch die Springer-Gruppe gekennzeichnet ist. Springer-Chef Mathias Döpfner hat die Sache als rein ökonomische Umschichtung seines Konzerns seit langem betrieben: Das nachlassende Geschäft mit den Printmedien soll durch ein "zweites Bein" im Fernsehbereich ausgeglichen werden. Daß damit eine Konzentration publizistischer Macht entsteht, die manche nur mit der von Rupert Murdoch vergleichen, ist das eigentliche politische Ereignis, und daß diese Macht "auf Seiten der politischen Rechten steht" (FR), dürfte klar sein.

Das Marodieren auf Domänen der öffentlich-rechtlichen Sender ist vielleicht ein Hinweis auf das Fernziel, nämlich die Aushebelung der auch bei ARD und ZDF bereits angeschlagenen Prinzipien des investigativen und faktenorientierten Journalismus durch rechtes Infotainment. Naiv, aber mit der Nase im Wind, freute sich ein Leserbriefschreiber an die FR darüber, daß nun endlich den "linken" Gruppierungen ARD und Bertelsmann (?) etwas entgegengesetzt werde. Vielleicht geht Adenauers Traum vom reaktionären Staatsfernsehen in privater Hand doch noch in Erfüllung.

Günter Giesenfeld