Der Sieg der Pantoffeltierchen

Es gibt Anzeichen, daß die Außerirdischen schon unter uns sind, bei uns, in uns. Es wird erahnbar, wie sie ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten gedenken: mit dem Mittel der Retrogradierung. Das heißt, die befallenen Erdenbewohner wachsen plötzlich rückwärts, nicht körperlich, sondern geistig, weshalb die Sache auch so lange unentdeckt bleiben konnte. Jetzt aber läßt sich der fatale Prozeß bei einer Ikone der US-Weltkultur exemplarisch nachweisen.

In Steven Spielbergs neuestem Film Krieg der Welten kommt eine Entwicklung im Schaffen dieses Regisseurs zu einem vorläufigen Endpunkt, die sich an der Gestaltung der extraterrestrischen Figuren ablesen läßt: Sie ist durch den Übergang von einer nachdenklich-differenzierten (in Filmen wie E.T. oder Unheimliche Begegnung der dritten Art) zu einer naiv-infantilen Perspektive (die schon mit Jurassic Park begann) gekennzeichnet. In Krieg der Welten sind die Außerirdischen monumentale Maschinen-Saurier, die sozusagen chemisch rein das Böse verkörpern. Ohne jedes erkennbare Motiv überfallen sie die menschliche Zivilisation, das heißt in Hollywood eine amerikanische Kleinstadt, und die Bewohner sind ihnen hilflos ausgeliefert. In einigen äußerst aufwendigen special effect-Szenen wird der Untergang ebenso gräßlich-realistisch wie lautstark inszeniert, eine nennenswerte Verteidigung gibt es trotz einiger durchs Bild fahrender Panzerkolonnen nicht.

Nach den orgiastischen Zerstörungsclips wechselt der Film den Ton zugunsten eines klaustrophobischen Kammerspiels. In einem alten Höhlen-Haus kämpfen drei Menschen gegen ein pythonartiges Tentakelmonster. Von der zu Beginn vorgestellten Familie sind nur noch Vater und Tochter übriggeblieben, und der Beschützer-Trieb ist ihr einziges Verhaltensmuster. Der Vater trägt seine Tochter mit sich herum wie diese ihre Puppe. Der Fremde, der sie in seinem Versteck aufgenommen hat, wird getötet, weil er eine Konstellation stört, in der die Familie auf ihre elementarsten Reflexe reduziert ist. Bei Spielberg ist Familie nicht Verführung, Liebe, Zeugung und Ehe, sondern nur eine reine keusche Urzelle des menschlichen Lebens, die am Ende als sozial entleertes, phantasieloses, entsinnlichtes Idealbild und banales Klischee unversehrt bleibt. Denn jener andere Große Außerirdische, Gott, ist mit den Kindern.

In H. G. Wells' Roman scheitert der Angriff der Außerirdischen schließlich daran, daß sie sich mit irdischen Krankheitserregern infizieren und zugrunde gehen. In Spielbergs Blockbuster - er hatte das größte Budget zur Verfügung, das je für eine Literaturverfilmung ausgegeben wurde - wird uns diese globale Katharsis in einem erklärendem Off-Kommentar beim im Vor- und Abspann mitgeteilt. Dabei sind im Bild durchs Mikroskop betrachtete Pantoffeltierchen (Paramaecium) zu sehen.

Als der Roman 1897 herauskam, löste er einen Schock aus, weil jeder deutlich sehen konnte, daß die Geschichte eine Parabel war für die Kehrseite des technischen Fortschritts und für die Verwilderung der internationalen Beziehungen durch den Kolonialismus. Dem Publikum war die Eroberung der tasmanischen Inselgruppe durch die englische Armee und die dabei erfolgte komplette Ausrottung der Ureinwohner (1865) in lebendiger Erinnerung.

Von solcher Zeitbezogenheit ist bei Spielberg nichts zu spüren. Sein Film führt vor, was entsteht, wenn ein Stoff jeglicher Implikationen beraubt und zu einem beziehungslosen Skelett für das Spiel mit keimfreien Genre-Versatzstücken gemacht wird. Da in der Kinokommunikation so etwas aber nicht funktionieren kann, wachsen dem Knochenbau bei der Rezeption unkontrollierte Nutzungsangebote zu. Unter der Hand belegt der Film den Verlust jeglicher Besinnungskultur in einer Welt, für die die Außerirdischen ein Symbol sein könnten: höchstentwickelte Technik bei gänzlich fehlender Reflexionsfähigkeit, eine Existenz auf pflanzlichem Niveau, deren Subjekte Zugang zu den Schalthebeln globaler Machtausübung und planetarischer Zerstörungskraft haben. Aber nicht die Erkenntnis dieser Situation fördert der Film, sondern das sich Abfinden mit ihr.

Vielleicht ist die zu Beginn geäußerte Gefahr doch nicht so imminent. In der Nachmittagsvorstellung bevölkern etwa 20 Jugendliche das riesige Cineplex-Kino. Draußen ist es heiß, hier kühl. Man unterhält sich, ißt Popcorn und quittiert jeden horror thrill mit lautem Gelächter. Spielbergs platter Plot stört da nicht weiter.

Günter Giesenfeld