Speer und ER

"Ich habe von den scheußlichen Dingen nichts gewußt" - mit diesem Zitat ihres Vaters werden die Kinder von Albert Speer, dem Reichsarchitekt, Rüstungsminister und besten Freund Hitlers, konfrontiert, und der Interviewer will wissen, ob sie ihn denn nach seiner Entlassung aus der Haft nicht auch danach gefragt hätten, was er wirklich über die "scheußlichen Dinge" gewußt habe. Arnold Speer: "Ich hab mir das überlegt und hab's dann nicht getan" Hilde Schramm, geb. Speer: "Ich hab's ihm auch erleichtert, indem meine Fragen an einer bestimmten Stelle auch aufgehört haben". Und Arnold Speer kommentiert dieses Verhalten: "Das haben wir Denkmalpflege genannt".

Das neue Großprojekt des Erfolgsteams Heinrich Breloer und Horst Königstein hat den Anspruch, mit dem "Mythos" Albert Speer aufzuräumen - reichlich spät, hatte doch das Buch Albert Speer. Das Ende eines Mythos des Historikers Matthias Schmidt dies schon 1982 unwiderlegbar getan.

Gemäß einer inzwischen als Genre anerkannten Methode nutzt das "Dokudrama" die verschiedensten Elemente (Interviews mit Nachkommen und Überlebenden, Dokumente aus Wochenschauen und Privatfilmen und schließlich Spielszenen), um sowohl historisch "abgesichert", als auch in einer spannenden Handlung den vorgegebenen Stoff zu präsentieren. Der Speer-Film ist jedoch ganz auf die Ausstrahlungskraft seines Helden hin konstruiert, so daß die schon im Nürnberger Prozeß erfolgreiche "Opportunismus-Attacke" des historischen Speer, d.h. einiges allgemein zuzugeben, im Detail jedoch immer eine "saubere" Haltung zu behaupten, den Film prägt. Was man spielen solle, müsse man in gewisser Weise auch lieben, sagt der Schauspieler Sebastian Koch, der den Speer gibt, und diese "Liebe" überträgt sich, trotz aller Kontrastmontage mit Dokumenten, als Identifikationsangebot auf den Zuschauer. Speer ist auch in dieser Dramatisierung der Entlastungsnazi, dazu geeignet, Millionen von Mitläufern zu rechtfertigen.

Anstatt etwa zu hinterfragen, warum es im Nachkriegsdeutschland so breite Kreise gab, die ihn unterstützten und ihm eine zweite Karriere als Bestseller-Autor ermöglichten, läßt der Film es zu, daß das Klischee vom "Engel, der aus der Hölle kam" (so einer seiner Söhne) bedient wird, der Mythos unberührt bleibt. Solche Akzentsetzungen sind in einer dramatischen Konstruktion nicht unausweichlich, wie dies der FR-Kritiker behauptet, wenn er die "Nachgeborenen" auffordert, dies "dem Medium Dokudrama nachzusehen". Ein Autor wie Breloer muß wissen, daß die Überzeugungskraft dramatischer Personalisierungen gerade deshalb so mächtig ist, weil sie durch die Verknüpfung mit Dokumenten ein besonderes Authentizitätssiegel erhält. Es scheint, daß Speers berühmte Verführungskraft sich hier noch einmal erfolgreich an den Autoren bewährt hat: Die erhaltenen Filmszenen mit dem wirklichen Speer liegen um Klassen unter dem medialen Wirkungsniveau der fiktiven Figur.

Breloer und sein Team haben dem Dreiteiler einen vierten Film unter dem Titel Die Täuschung hinzugefügt. Er ist kein Drama, sondern ein Feature, in dem journalistisch überzeugend mit Hilfe von wissenschaftlichen Recherchen die Selbstdarstellung des Albert Speer systematisch hinterfragt wird. Dabei ist interessant, wie hier mit Zitaten aus dem eigenen Film umgegangen wird: Sie wirken hier, in einem durchweg kritischen und reflexiven Diskurs, wie Dokumente eben jener Selbststilisierung. Breloer geht subtil auf Distanz zu seiner eigenen fiktionalen Darstellung, oder besser: er fügt ihr eine kritische Dimension hinzu, die sie selber nicht hat (aber haben könnte). Und hier kommt dann auch der Historiker Schmidt zu Wort, und mit ihm junge Wissenschaftler, die alles längst aufgearbeitet haben, was der Film in der dramaturgischen Schwebe hält. Durch den vierten werden die drei vorhergehenden Teile gewissermaßen anachronisiert.

Keine der mir bekannten Kritiken in den Zeitungen schließt diesen vierten Teil in die Charakteristik des Ganzen mit ein: Das ist wohl typisch auch für die Mehrzahl der Zuschauer. Das nicht mehr "spannende", sondern eher "anspruchsvolle", weil "sachliche" Feature dürfte kaum jemand, spät um 23 Uhr, angeschaut haben. In der öffentlichen Rezeption blieb die Denkmalpflege also unangetastet.

Übrigens: In christlichen Büchern aus früheren Jahrhunderten ist, wenn "er" groß (Er) oder ganz groß (ER) geschrieben wurde, der HErr GOtt gemeint.

Günter Giesenfeld